Gärtner-Roulette
und Gedanken zu Erste-Welt-Problemen
Es ist soweit: die erste
Radieschenernte! Bisher gab es ja nur ein paar Kräuter und hin und
wieder eine Portion Spinat, aber jetzt! Jetzt gibt es mal etwas zu
beißen: die Radieschen drängten sich zur Ernte.
Zwischen die Reihen junger Radieschen
wurde sogleich neu gesät, dazu gesellt haben sich vier gelbe Bete
und in der Mitte bleibt Platz für eine Kohlrabiknolle, die – tadaa
– in der Anzuchtschale schon ihre beiden ersten Blätter
ausgestreckt hat. Der Spinat hat jetzt auf „Produktion“
umgestellt und wächst wie irre, ich könnte alle drei Tage ernten.
Soweit das Gartenglück.
Es passierte, als ich mal wieder
verträumt im Garten saß und die Pfanzen beim Wachsen beobachtete:
eine sehr verdächtige, kleine weiße Raupe im Topf bei den frisch
gesäten Stangenbohnen. Das kann doch nicht wahr sein! Da sähe ich
in einem einzigen Topf auf einem Balkon im Wohngebiet Stangenbohnen
und schon ist die Bohnenfliege um die Ecke?!? Bohnenalarm! Sofort
evakuierte ich die gesäten Bohnenkerne in meine Anzuchtstation in
neue Erde und säte gleich nochmal neue zusätzlich, sicher ist
sicher. Die anschließende Recherche um die böse bohnenfressende
Fliege erklärte auch den Wachstumsstillstand und die deformierten
Blätter an zwei meiner Buschbohnen, die ich daraufhin aus dem Topf
nahm. Weitere Opfer.
Wenn ich ehrlich sein soll, frage ich
mich, wie die Menschheit so lange überlebt hat. Es kann so viel
schief gehen beim Gemüseanbau, man muss sich gegen so viele
Konkurrenten zur Wehr setzen, die einem das Essen streitig machen.
Dazu kommen Pflanzenkrankheiten. Und vom Wetter hängt man auch noch
ab. Genau genommen ist Gemüseanbau ein Glücksspiel.
Meine 95jährige Oma, die die Welt noch
ohne Plastik, Waschmaschine, Kühlschrank, Supermarkt und eben auch
ohne Pflanzenschutzmittel kannte, antwortete darauf angesprochen
lapidar „Dann hatte man halt weniger zu essen.“
Wie jetzt?!
Nutzgärtnern flößt einen enormen
Respekt ein. Weniger vor der Nahrungsmittelindustrie mit ihren vielen
technischen und chemischen Hilfsmitteln, sondern vor den Zeiten, in
denen es das alles nicht gab oder aber den Ecken der Welt, in denen
es das bis heute nicht gibt. Die ständige, nahezu unbegrenzte
Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, auch außerhalb ihrer Saison,
gehört viel zu selbstverständlich zu unserer Lebenswelt und hat uns
völlig verhätschelt.Würde ich von meinem eigenen Gemüse leben
müssen - abgesehen von meiner viel zu kleinen Anbaufläche – ich
bekäme Existenzängste.
Im Januar und Februar habe ich mal
versucht, nur von dem zu leben, was aus dem einheimischen Gemüseanbau
saisonal oder aus der Winterlagerung verfügbar war. Mein Speiseplan
bestand hauptsächlich aus Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Kohlsorten,
mehr Porree als mir lieb war, Feldsalat und lagerfähigem Obst.
Eintönig, wenn man es mal einige Wochen durchhält. Und viele
Gemüsekonserven finde ich grauenvoll, weshalb ich sie verschmähte.
Ich habe schmerzlich mein Sommergemüse wie Tomaten, Zucchini und
Auberginen vermisst, oder mal eine Banane... aber es wurde mir ganz
komisch, wenn auf dem Etikett zu lesen war, wie weit das Gewächs
gereist war.
Man sieht sein Radieschen mit anderen
Augen, wenn man es selbst aus der Erde zieht.
Aus dem Laub habe ich übrigens ein
sehr leckeres, würziges Pesto gemacht, dass meine Salatdressings
veredelt. Nichts vom Radies soll übrig bleiben.
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